Ein Augenblick der Macht

Dies Unbehagen, das an unserer Seele nagt,
und über Land und Leute sich ergießt – wie
jener Regen, dessen Kälte uns erschreckt,
erzählt uns von der Macht und Ohnmacht der
Gefühle, die manches Tun infrage stellen,
auch jene trotzig-freche Art, von der Gewalt
getragen, und unseren Verstand erpressen
will; wie oft schon nur ein Einzelner die Knute
über ungezählte Stimmen seines Volkes hält,
als wär er unangreifbar – und ist doch nur ein
Phänomen des Augenblicks, von dem sich jeder
nach Belieben auf seine eigene Art und Weise
trennen kann.
 
 
 
Sammler-Leidenschaften
oder
Die Sehnsucht nach dem kleinen Glück
 
Der eine sammelt Zugfahrkarten,
die ihre Gültigkeit verloren haben, ein
anderer hortet Pudelmützen (in
Erinnerung an einen kalten Winter); mein
Nachbar liebt alte Motorräder, die er zärtlich
restauriert, und seine Frau kann sich nicht satt-
sehen an Postkarten aus ihren Urlaubszeiten –
eine bunte Welt! – Ein guter Freund ist
der Liebe verfallen: davon zeugen die
Gemälde, Grafiken und bibliophilen Bücher
in seinem Haus – ein dauernder Spaß
für die Sinne! – Eine Sache erscheint mir
mehr als töricht: Es ist die Leidenschaft
von Leuten, Wörter zu sammeln (auf dem Papier),
Zeilen aus ihnen zu machen, ohne nach
einem Sinnzusammenhang zu fragen –
und dafür das Attribut Dichter zu beanspruchen,
ohne ein einziges Mal aus der Tiefe der Intuition von
der Muse geküßt worden zu sein.
Muß das sein!?
 
Aus: Späte Visionen
Autor: Gregori Latsch
 
 

Ein neuer Anfang

Sind alle Plätze für eine Himmelfahrt besetzt?
Woher der Eifer nach dem besseren Lebensstand?

Peinlich, das unerträgliche Gerangel um den schönsten
Platz! Ist das die Sehnsucht nach dem unerfüllten Glück?

So mancher würde jetzt auf seine Art für Ordnung
sorgen – die Nächstenliebe wäre fehl am Platz.

Wer eine Chance erhält, den Himmel zu erreichen,
tritt gern nach unten, wähnt sich in seinem Element.

Das sieht der Himmel mit ganz anderen Augen.
Geht es um die begehrte Fahrt nach oben, erscheint

der gute Mann, die fromme Frau in einem anderen Licht,
das alles wiedergibt, was einst geschah, und es durch-

leuchtet unsere Gedanken. War das nicht immer so!
Mit anderen Worten, es lohnt sich nicht, die von

ganz oben zu betrügen. Und der Erlaß von Schmerzen und
von Sorgen – so leicht mit einem Federstrich begleichen,

mit einem Wort in den Gedanken auszulöschen, das
weiß der Himmel besser, wie er sich entscheidet –

und auch wie lange jeder Einzelne an
seinem Erdendasein leidet.


Aus: Späte Visionen
Autor: Gregori Latsch
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