Die Klassifizierung unserer familiären Abstammung – Proletariat,
Unterschicht, Mittelschicht, Oberschicht – wem wollen wir damit etwas
beweisen? Und woher wissen wir, daß es, vom menschlichen Status
her, ein Recht auf eine solche Differenzierung gibt? Von der Moral
und der Vernunft ganz zu schweigen, deren Verständnis in diesen
Fragen doch nur dem subjektiven Eigennutz unterliegt. |
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Späte Visionen
(Arbeitstitel)
Autor: Gregori Latsch |
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Leser's Wiederholungswunsch |
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Der lachende Philosoph ist keine Erfindung eines Spaßvogels. Alle
Welt weiß, daß die Versuchung groß ist, sich vorzustellen, das Leben
wäre ein endloser Traum, aus dem jeder zu einem anderen Zeitpunkt
erwachen würde, um zu erleben, daß er sich geirrt haben muß. |
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Der schönste Entwicklungsgang in der Evolutions- geschichte wird von
den meisten in der Kultur gesehen, die wir Menschen uns angeeignet
haben, und mit Erfolg praktizieren – so scheint es. Skeptiker
geben zu bedenken, daß diese Entwicklungsstufe nur eine
Alibi-Funktion besitzen würde, verletzten wir doch durch gnadenlose
Kriege und andere grausame Umstände permanent die Würde des
Menschen. Und ist Kultur etwas anderes, als die Bewahrung einer in
uns tief verwurzelten Lust, ein glücklicher Mensch zu sein, der in
Würde sein Dasein fristet! |
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Wir erleben Poeten, die ihre intuitiven Gedanken zumauern mit einem
Wirrwarr an Aussagen, die alles und nichts bedeuten können. Das
sollen neue Wege zu einer poetischen Weitsicht sein – wären da nicht
die Mauern! |
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Thukydides (griech. Historiker, 460 v. Chr.) sagt: „Es bedürfe
des demokratischen Regiments, damit die Armen eine Zuflucht und
die Reichen einen Zügel hätten.“ – Wir sind auf dem richtigen Weg!
Könige, Aristokraten, Tyrannen, übereifrige Populisten haben keine
Chance mehr, unser System infrage zu stellen. Es sei denn, wir
mißachten die Grundbedürfnisse der Menschen.
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Eigentlich ein absurder Gedanke: Es gibt eine
Kultur der Ausbeutung in Demokratien, die sich in einer perversen
GewinnMaximierungsGier äußert. Aber auch sie muß, bei einer
Überreaktion, mit einem fatalen Widerstand rechnen. Hier stellt sich
die Frage: Ist eine übermäßige Bereicherung nicht ein
Kulturfehler, der korrigiert werden müßte? |
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Das Dritte Reich. Sich vorzustellen, daß
alles im Geschick eines Irren lag, der mit der hysterischen
Modulation seiner Sprache, sich und anderen zu gefallen, dem
bescheidenen Selbstwert seiner Person damit einen ungeheuren Auftrieb
verlieh, so daß die Führer-Qualität eigentlich nur eine Täuschung
durch Gesten war, unglaublich naiv in der Wirkung; doch damals,
ja, damals, in einer Zeit, die auf der Suche nach sich selbst war,
und sich nicht fand, da war alles anders. Und so geschah es auch:
Anders als erwartet veränderten sich die Lebensumstände der Menschen
unter unfaßbar zerstörerischen Einwirkungen – und endeten in einem
furiosen Untergang. Alles eine Frage der Banalität. Mit Vernunft
hat das nichts zu tun. |
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O Zeiten, o Sitten! Nehmen sie doch den Frauen die Chance, auf
beiden Bahnen, der Vernunft und der Gefühle, eine Frau zu sein – und
bleiben zu dürfen. |
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Keine leichte Sache, sich einzugestehen, daß die Erde auch ohne uns
Menschen ganz gut zurechtkommen würde – und wir nicht einen Tag ohne
sie. |
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Alle Welt schwärmt von der Poesie der Liebe, des Lebens, der Musik...
Herrlich, diese Begeisterung! – Wie ernüchternd uns dann
zeitgenössische Poeten begegnen, wenn ihr SprachRhythmus sich knorrig
verhält, die Wortwahl eiskalt berührt, und ihre Themen sich mit
allerlei Kleintieren beschäftigen, als hätte es nie eine Evolution
gegeben – aus der Tiefe der poetischen Intuition. |
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Gewappnet mit dem „schlanken Schwert“ der Nächstenliebe zogen wir in
die Schlacht der Religionen. Es war ein schreckliches Erlebnis!
Nur mit Mühe gelang es uns, dem verbalen Massaker zu entkommen.
Zählt unsere „Waffe“ vielleicht doch zum alten Eisen?! |
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Aphorismen aus den 1970er Jahren Titel: Die Schöpfung war ein Irrtum Autor: Gregori Latsch
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Worum die Gefühle bangen, ist ein Leben ohne seelischen Inhalt.
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Der Hofnarr Seiner
Majestät beklagte sich bitter über die Narreteien des Königlichen
Stabes.
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In der
Psychologie ist die Wahrheit auswechselbar, solange das Bewußtsein
träumt.
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Manche
Politiker erwecken den Anschein, als stünden hinter ihnen ganze
Armeen - von Besitzenden.
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Im Konservativismus liegt etwas Bewahrendes, das bewahrt
werden sollte - nicht mehr!
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Aus: Nicht über den eigenen Schatten springen |
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Manche Umstände bleiben unveränderlich |
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Unvorstellbar tapfer strebt die türkische Seele, bei allen
Widerständen des Glaubens, nach dem Sinn der Demokratie. |
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Rhetorische Rohlinge haben keine Ahnung, wie schwer es ist, in Zeiten
der Vernunft mit diplomatischer Gelassenheit eine falsche Meinung
als wahr zu interpretieren. |
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Aus: Späte Visionen (2019/20) - Autor: Gregori Latsch |
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Leser's Wiederholungswunsch
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Liao Yiwu erzählt von seiner Gefängniszeit in
China: Fesseln, Schläge, Elektroschocks, Hitze, Kälte. Und ich
dachte, Laotse wäre bis Peking gekommen.
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Aus:
Freundliche Attacken |
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Wir dürfen nicht vergessen, daß auch Kinder
Träume haben, die eine stille Lebenshoffnung sind. |
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Aus: Späte Visionen (2019/20) |
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Vorsicht, intellektuelle Handgranaten!
* Aphorismen sind wie kunstvoll
geschliffene Edelsteine - doch im Unterschied zu ihnen alles andere
als glatt.
* Aphoristiker
sind Fakire der Sinnverdichtung.
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Sie drängen uns Fragen auf, die sie nicht beantworten, und
provozieren uns, ihre Weite und Tiefe selbst auszuloten.
* Aphorismen brennen sich in unser
Gedächtnis ein, ohne unsere Sinne in Brand zu stecken.
* Sie sind „eine kleine
Unsterblichkeit“, sagte Nietzsche. Sie fordern unsere
uneingeschränkte Neugier heraus.
Otfried Höffe Oktober 2020 |
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Vom Autor Otfried Höffe ist auch der Band: "Der Mensch ist so
notwendig verrückt..." Skizze einer alternativen
Philosophiegeschichte bei Cimarron erschienen:
http://www.cimarron-art.de/libris - Hoeffe.html |